Donnerstag, 7. April 2011

Das Selbstverständnis als Kinderbuchautor


Liebe Ruth,

bestimmt wird sie Dir auch häufig gestellt. Die Frage: „Warum schreiben Sie Bücher für Kinder?“ Und diese Frage bedeutet weniger: „Warum schreiben Sie Bücher?“ als: „Warum schreiben Sie ausgerechnet für Kinder?“
Wenn ich darüber nachdenke, was mich eigentlich dazu motiviert, stoße ich immer wieder auf meine eigenen Leseerlebnisse als Kind.
Kindheit – das ist die Zeit der ersten Male. Des Kennenlernens. Der prägenden Begegnungen. Als Erwachsene schlappen wir ja meistens ziemlich gemütlich auf asphaltierten Wegen dahin, aber hin und wieder erinnern wir uns vielleicht, wie wir als Kinder mit weit aufgerissenen Augen durch das unbekannte Dickicht gestapft sind und angefangen haben, uns unsere Pfade zu bahnen. Und welchen starken Eindruck alles, was uns dabei in die Quere kam, hinterlassen hat:
Die Menschen.
Die Natur.
Die Kultur.
Mit unseren ersten Büchern sind wir in geheimnisvolle Geschichtenwelten abgetaucht, wir haben unsere sprachliche Ausdruckskraft erworben, wir haben innere Bilder erschaffen, die uns nie wieder verlorengegangen sind. Und während wir allmählich größer wurden, hat die Literatur unsere Gedanken erweitert, sie hat uns vorangetrieben, sie hat uns manchmal auch an die Hand genommen und gesagt: Guck, du bist nicht allein.
All das können Bücher für Kinder. Und all das ermutigt mich, sie zu schreiben.

Liebe Nikola,

ich habe diese Zeilen von dir ein paar Tage mit mir herumgetragen und mich gefragt, was die prägenden Bücher meiner Kindheit waren. Zu meinem eigenen Erstaunen ist dabei eine sehr magere Bilanz herausgekommen. Ein paar Klassiker fielen mir ein, „Wo die wilden Kerle wohnen“, „Momo“ und „Jim Knopf“, auch Astrid Lindgren gab es natürlich in unseren Regalen - und ein kleines Pixi-Büchlein, das mich hauptsächlich aus optischen Gründen sehr beeindruckt hat: „Die Bergtrolle im Tal“. Überhaupt sind es vor allem die Bilderbücher, die mir im Gedächtnis haften geblieben sind. (Und die, glaube ich, auch heute meine Lieblings-Disziplin beim Schreiben sind.)  Alles andere habe ich mehr oder weniger vergessen. Und ich fürchte, dass ich die Literatur nicht derartig als Augenöffner empfunden habe, wie du es so wunderschön beschreibst.
Als ich dann selber Kinder hatte, war ich mir der literarischen Schätze auch nicht bewusst, die auf mich und meine Töchter warteten, sondern habe eher zufällig das vorgelesen, was uns in die Finger fiel. Geschenkt Bekommenes vor allem. Vieles davon hat mich in seiner Belanglosigkeit erschüttert. Und ich muss gestehen, dass meine Motivation, neben der Erwachsenenliteratur nun auch Texte für Kinder zu verfassen, zu einem großen Teil dem Bedürfnis entsprang, es besser machen zu wollen.
Das hat sich inzwischen, wo ich die riesige Bandbreite an Kinderliteratur zumindest ein bisschen besser kenne, sehr verändert. Ich habe großartige Kinderbuchautoren entdeckt, die meine anfängliche Überheblichkeit im Keim erstickt und mich so etwas wie Demut gelehrt haben.

Ich habe überlegt, welches das Buch war, das ich als allererstes von vorne bis hinten selbst gelesen habe. Soweit ich mich erinnere, war es „Das große Wilhelm-Busch-Album“ meiner Eltern. Also gar keine Kinderliteratur!
Die Auswahl an Kinderbüchern, die ich zu Hause hatte, war nicht überwältigend groß, aber auch nicht klein, und es waren sehr schöne Sachen dabei. Astrid Lindgren natürlich, Roald Dahl und Gina Ruck-Pauquèt, um einige zu nennen, die mich damals dermaßen beseelt haben, dass ich mich immer wieder in ihre Geschichten hineinbegeben habe -  auch an Tagen, an denen ich traurig war oder unzufrieden mit mir und der Welt. Es gab auch einige Bücher, die ich nach ein paar Seiten gnadenlos zugeschlagen und nie wieder angerührt habe - und wenn ich sie mir heute anschaue, überkommt mich immer noch das Gähnen und ein Empfinden von emotionaler Leere und Unerheblichkeit.
Viele Perlen der Kinderliteratur entdecke ich aber auch erst jetzt als Erwachsene, und jedes Mal denke ich: WOW! Eine solch bewegende Literatur zu schreiben, darum bemühe ich mich ebenfalls. Und hoffe, dass es mir gelingt.

Und dass die Kinder das rauslesen, was wir reingeschrieben haben – oder vielleicht auch etwas ganz anderes, das finde ich genauso schön (solange es nicht eine Lesart unserer Texte ist, die wir übersehen haben, ein Missverständnis, eine Schlampigkeit). Ansonsten mag ich die Vorstellung, dass Geschichten sich verselbständigen und jedem etwas anderes bedeuten. Ich schreibe auch nie explizit für jemanden. Ich habe meistens keine Leser vor Augen, wenn ich plotte oder ausformuliere. Es ergibt sich eigentlich alles aus der Geschichte heraus. Natürlich finde ich hin und wieder Vokabeln, die mir für Zehnjährige unpassend erscheinen, da ändere ich dann. Aber sobald die Keim-Idee einer Geschichte geboren ist, schreibe ich ohne Leser im Hinterkopf. Geht dir das auch so?

Das geht mir während des Schreibprozesses ganz genauso. Das Alter meines Protagonisten/meiner Protagonistin ist natürlich ein Anhaltspunkt für den zukünftigen Leserkreis – aber nur so herum, nicht umgekehrt. Sprache, Gedankengänge, Konflikte ergeben sich für mich aus der Figur und ihrer Persönlichkeit, nicht aus der Ausrichtung auf ein festgestecktes Lesepublikum. Und ich freue mich, wenn hinterher nicht nur eine Altersgruppe und nur ein Geschlecht Gefallen an der Geschichte findet, sondern jeder Leser etwas darin entdecken kann, was für ihn bedeutsam ist. Womit wir bei den Leerstellen eines Buches sind, die für mich elementar zum Leseerlebnis dazugehören. Eine Erzählung lebt ja nicht nur vom Ausgesprochenen, sondern auch vom Verschwiegenen, nicht nur von Erklärungen, sondern auch von Unwägbarkeiten, nicht nur von Antworten, sondern vor allem auch von Fragen. Insofern wird der Leser, wenn die Geschichte erst einmal fertig ist, sehr wichtig für mich, weil Literatur genau zu dem Zeitpunkt, an dem sie in die Öffentlichkeit gelangt, eine Form der Kommunikation ist.

Ja, bloß schade, dass man in den allermeisten Fällen die Antwort nicht mehr zu hören bekommt.

Für mich sind Lesungen ein ganz wichtiger Bestandteil der schriftstellerischen Arbeit, weil bei ihnen die unmittelbare Begegnung mit den Lesern stattfindet. Die spontanen Reaktionen der zuhörenden Kinder und ihre weiterführenden Ideen zur jeweiligen Geschichte sind für mich sehr aufschlussreich. Ich habe schon öfter erfahren, dass sie sich überraschend offen dazu äußern und ihre durch das Buch ausgelösten Gefühle und Gedanken ohne Hemmungen preisgeben. Manchmal kommen dabei ganz existenzielle Dinge zur Sprache. Das finde ich sehr berührend.

Bei meinen wenigen Lesungen habe ich die Kinder eher als zurückhaltend erlebt. Wobei sich unsere Lesungskonzepte ja auch sehr unterscheiden. Du bindest die Kinder stärker ein, stellst zwischendurch Fragen,  animierst zum Weiterspinnen. Ich neige eher zum Purismus und lese den Text, erzähle zwischendurch, wie es weitergeht. Am Ende ist dann bei mir Fragestunde. Und die Fragen bezogen sich bisher eher auf das Dasein als Kinderbuchautor (wenn sie von den Lehrern mit vorbereitet waren) oder auf die Illustrationen, die ich immer an die Wand werfe, aber nicht so sehr auf die Geschichte. Einmal habe ich einen Fanbrief bekommen, das war etwas ganz Besonderes. Ansonsten empfinde ich noch die Rezensionen als dialoghaft, wobei die ja meistens von erwachsenen Lesern stammen. Was ich aber auch interessant finde.

Ich auch, zumal sie meistens andere Aspekte hervorheben als Kinderrezensionen. Es ist spannend zu sehen, was den Kindern ins Auge sticht, die ja im Lesen wie im Leben noch Anfänger sind, und was den erwachsenen Lesern mit ihrer langjährigen Büchererfahrung.
Dazu kommt, dass Rezensionen durch erwachsene Kritiker nun mal stark beeinflussen, ob und wie ein Buch in der Öffentlichkeit beachtet wird. Kinderbücher führen in den Feuilletons ja leider ein Schattendasein, oft sind sie darin überhaupt nicht zu finden. Schon eher begegnet man ihnen in Eltern- oder Lehrermagazinen, und häufig werden sie nach ihrer pädagogischen Einsetzbarkeit eingeordnet.
Erstmal ist ein Buch aber ein Buch, also Literatur, und deren Bestimmung ist es, Leser zu erreichen, zu berühren und ins Gespräch zu bringen.

Damit wären wir wieder bei der Frage „Für wen schreibe ich eigentlich?“ Es trifft die Sache für mich zwar immer ganz gut, zu sagen: Ich schreibe für die Geschichte, aber natürlich ist das nur die halbe Wahrheit. Viele perfekte Geschichten in der Schublade zu bunkern würde mich sicher nicht glücklich machen. Als ich meine „Karriere“ mit den Auftragsarbeiten angefangen und nach vorgegebenen Themen Texte verfasst habe, da habe ich noch viel mehr für die Kinder geschrieben, von denen ich dachte, dass sie diese Themen vermutlich gut finden. Vielleicht auch nur für den Verlag? Ich bin ganz ehrlich und sage: Ich weiß es nicht. Mich selber haben sie jedenfalls nicht angesprochen. Ich hatte zu diesen Themen einfach nichts zu sagen. Ich habe dann sehr schnell aufgehört, diese Art von Text zu verfassen und nur noch Geschichten geschrieben, deren treibende Kraft ich selber war. Was du ja von Anfang an konsequent gemacht hast. Seitdem geht es mir mit meiner Arbeit viel besser. Man kann also sagen, dass ich in gewisser Hinsicht (zumindest auch) für mich schreibe. Und die Vorstellung, dass andere Erwachsene etwas in meinen Büchern finden, das sie berührt oder anspricht, das gebe ich jetzt mal ganz unumwunden zu, die finde ich schön und bereichernd. Ich bin ja selber erwachsen.
Ich glaube, dass Texte auf Kinder viel unmittelbarer wirken. Und dass deswegen eine gelungene Gestaltung, ein gekonnter Spannungsbogen, sprachliche Raffinessen, eben all das, womit wir uns tagtäglich solche Mühe geben, die Kinder zwar erreicht, aber oft ohne erkannt zu werden. Und lobbesessen wie ich nun mal leider seit meiner frühesten Kindheit bin, fehlt mir das dann. Das „hole“ ich mir von Erwachsenen.
Aber den emotionalen Einfluss, den Texte (im positiven Sinne) in eben dieser Unmittelbarkeit auf Kinder nehmen können, der ist durch nichts zu übertreffen, auch nicht durch die tollste Rezension. Ein Kind, das mir sagt, dass einer meiner Texte irgendwie wichtig in seinem Leben war oder ist, das wäre das Größte.

Natürlich schreibe ich - auch - für mich selber, und das nicht nur wegen des Vergnügens, das der Schreibprozess bereiten kann (es kann manchmal auch ein innerer Kampf daraus werden, und ich „muss“ es trotzdem tun). Beim Schreiben geht es um mehr, es geht um Fragen, die ich mit mir herumtrage, um Gefühle, um Zwischenmenschlichkeiten, um Identität. Und diese Dinge sind Universalien, sie gehen jeden etwas an. Geschichten gehören für mich zum Menschsein. Sie erzählen vom Leben und lassen Leerstellen, die jeder mit seinen eigenen Erfahrungen füllen kann. Insofern empfinde ich es nicht als halbe Wahrheit, wenn Du sagst: „Ich schreibe für die Geschichte.“ Denn das heißt nichts anderes als: „Ich schreibe für uns alle.“

Der Text also, der sich seine Zielgruppe selber sucht. Wobei ich das – nach anfänglicher begeisterter Zustimmung – doch einschränken muss. Denn die Türen der Kinderliteratur stehen bei dieser Suche viel weiter offen als die der Erwachsenenliteratur. Viele Bilderbücher zum Beispiel richten sich ja explizit an Kinder und Erwachsene gleichermaßen, es gibt illustrierte Gedichte von großen (Erwachsenen-) Literaten und Kindergeschichten, die unter der Oberfläche eine zusätzliche Ebene für erfahrenere Leser bieten. In die entgegengesetzte Richtung sieht das aber anders aus. Ich würde behaupten, dass das Gros der Erwachsenenliteratur Kinder nicht erreichen kann bzw. sie sogar verstören würde. Und das – interessanterweise – vor allem in Texten, in denen es um Kinder geht. Kindheit wird für Erwachsene ganz anders aufbereitet als in der Kinderliteratur.
Ich habe mich oft gefragt, worin der Unterschied zwischen den Figuren in meinen Kindertexten und der sechsjährigen Protagonistin in meinem Erwachsenenromanprojekt liegt. Eine endgültige Antwort habe ich noch nicht gefunden, aber er manifestiert sich auf allen Ebenen: Thematisch, perspektivisch, erzähltechnisch … sogar die Kindersprache in Dialogen setze ich anders ein. Ein falsch gesprochenes Wort in einem Text für Kinder wirkt schnell despektierlich, im besten Fall witzig. Aus dem Mund eines Kindes in einem Erwachsenentext hingegen kann es die Authentizität erhöhen, etwas über das Alter verraten … Auch wie mit Subtilität und Explizitheit umgegangen wird, unterscheidet sich sehr.
Während eines Wochenendseminars, das den wunderbaren Titel „(Für) Kinder erfinden“ trug, hat Burkhard Spinnen in einem Randgespräch davor gewarnt, unter Pseudonym zu veröffentlichen, wenn man verschiedene Genres bedient. Er nannte in diesem Zusammenhang den Begriff der schriftstellerischen „Schizophrenie“. Mich hat das damals sehr beeindruckt. So sehr, dass ich sofort entschieden habe, mich von meinem Pseudonym zu trennen. Ich hatte es vor allem deshalb gewählt, weil ich dachte, es gäbe einem Autor der Erwachsenenliteratur gegenüber Vorurteile, wenn er „aus dem Kinderbuch“ kommt. Dass ich diese Vorurteile nur untermauere, wenn ich nicht den Mut habe, als literarischer Zwitter in Erscheinung zu treten, habe ich erst in dem Moment verstanden.
Trotzdem muss ich sagen, dass ich mich von dem Gefühl der Schizophrenie nicht frei machen kann. Ruth Löbner, die für Kinder schreibt, fühlt sich völlig anders als Ruth Löbner, die für Erwachsene schreibt. Und ich kann noch nicht genau den Finger darauf legen, worin sich das begründet. Du stehst ja mit deinem aktuellen Projekt grade an der Schwelle zur Jugendbuchautorin. Weht dich da diese Schizophrenie auch an?

Eigentlich nicht. „Eigentlich“, weil ich mich sowieso bei jedem Buch unterschiedlich erlebe, je nachdem, wovon ich schreibe und welche meiner Eigenschaften dabei in den Vordergrund tritt.
Es kann passieren, dass ich denke: Hammer, die Huppertz ist aber energisch! Und ein anderes Mal: Ah, sie ist leise-beobachtend. Und ein drittes Mal: Oha, diese Frau ist doch ein klitzekleines bisschen ... sonderbar.
Ähnlich geht es mir, wenn ich mich in verschiedenaltrige Protagonisten hineinschreibe. Manchmal meldet sich dann die Fünfjährige, die ich mal gewesen bin, und flüstert mir etwas ins Ohr, manchmal die Sechzehnjährige und manchmal die Erwachsene von heute. Und jede von ihnen hat nicht nur eine ganz andere Stimme, sondern bringt auch ganz verschiedene Erfahrungen, Gedanken und Gefühle mit.
Aber genau wie die Töne einer Melodie stehen diese kleinen und größeren Nikolas nicht für sich, sondern gehören alle zu einem (halbwegs) stabilen Autoren-Ich. Und ich finde es unheimlich spannend, dieses durch möglichst abwechslungsreiche Buchprojekte in alle Richtungen auszuloten. Denn eins möchte ich beim Schreiben niemals erleben: Eintönigkeit und Langeweile.

Vielleicht liegt es daran, dass meine Buchprojekte für ein einheitliches Selbstverständnis zu unterschiedlich sind? Ich arbeite zwar hier wie da mit existenziellen Themen, bemühe mich aber immer, das im Kinderbuch mit Wärme, etwas Humor und einer Einstellung umzusetzen, die die Leichtigkeit im Schweren aufzeigt. Im Erwachsenenbereich dagegen sind mir diese „Lichtblicke“ kein Anliegen. Da lasse ich ziemlich viel Düsternis zu, ohne zu relativieren. Und diese beiden Herangehensweisen gleichzeitig im Blick zu halten, fällt mir schwer. Wobei ich mich als Mensch viel weniger widersprüchlich erlebe als als Autor. Vielleicht hängt auch das wieder mit dem Thema „Literatur als Kommunikation“ zusammen. Ich rede mit meinen Freunden natürlich anders als mit meinen Kindern. Dabei vertraue ich darauf, dass Erstere es einordnen können, wie ich mit meinen Kindern kommuniziere und Letztere es akzeptieren, dass sie nicht immer zuhören dürfen. Aber Bücher gibt man her, man redet sie sozusagen ins anonyme Unbekannte hinein, ohne gezielt steuern zu können, was wen erreicht. Darüber hinaus ist die Kommunikation via Geschichten ja noch mal viel indirekter als ein Vier-Augen-Gespräch. Da frage ich mich schon, wie ich von der Außenwelt „zusammengesetzt“ werde, bei einem so widersprüchlich erscheinenden Output. Und ob mir das gefällt oder nicht, diese Außensicht beeinflusst mein Selbstbild relativ stark.

Um das, was Du als „Leichtigkeit im Schweren“ bezeichnest, bemühe ich mich beim Schreiben ebenfalls – und das ist jetzt nicht zu verwechseln mit Schönrednerei und Zwangs-Happy-Ends. Es ist eher eine innere Haltung, die ich auch im echten Leben versuche einzunehmen: Schwierigkeiten konstruktiv zu begegnen und die Dinge, die schön sind, dabei nicht aus dem Auge zu verlieren.
Vielleicht zieht es mich ja gerade deshalb zur Kinder- und Jugendliteratur?
Meine eigene Kindheit und Jugend waren in existenzieller Hinsicht sehr durchwachsen und haben viel Eigeninitiative erfordert, um trotz allem, was weh tat, immer wieder aufs Neue dem Glück zu begegnen. Meine Protagonisten haben mit genauso vielen Schwierigkeiten zu kämpfen wie ich damals, und ich gönne es ihnen von Herzen, dass sie in irgendeiner Weise gestärkt daraus hervorgehen – ob sich nun die äußeren Bedingungen ändern oder auch nicht. Wenn sie anfangen zu kommunizieren, sich zu öffnen, die Dinge aktiv und mit Humor in die Hand zu nehmen, ist das für mich selbst jedes Mal ein Stück weit Klärung und Befreiung – weil die Kindheit eben so wahnsinnig starke Eindrücke in uns Menschen hinterlässt.

Ja, auf der bewussten, aber viel stärker sicher noch auf der unbewussten Ebene. An der Oberfläche „packe“ ich in meine Texte immer recht wenig von meiner eigenen Kindheit hinein. Es gibt fast keine (für mich erkennbaren) Parallelen zwischen meinen Figuren und mir. Mit Vorliebe beschreibe ich die Dynamiken zwischen Vätern und Söhnen – wobei ich immer das Gefühl habe, mir selbst bei dieser Themenauswahl noch nicht auf die Schliche gekommen zu sein. Vielleicht erkenne ich eines Tages ja das Muster dahinter. Auch bei den Strategien, wie ich meine Figuren ihre Konflikte lösen lasse, habe ich nicht das Gefühl, von mir selber abzuschauen oder vielleicht auch zu kompensieren, was damals nicht funktioniert hat.
Aber inwieweit das überhaupt geht, das Schreiben für Kinder, ohne das Kind, das man mal war, „anzuzapfen“, lässt sich gar nicht beurteilen. Wir waren ja alle Kind und sind geprägt von dieser ersten Lebensphase. Beim Versuch, sich in andere Kinder (also auch in die Figuren unserer Texte) hineinzuversetzen, wird immer die eigene Kindheit einen Einfluss haben. Ob wir den nun sehen oder nicht.

Genau das meine ich. Es geht niemals darum, sich selber „abzuschreiben“, sondern das eigene Gefühl von Kindheit, also von Unmittelbarkeit, Spontaneität und dieser unglaublichen Intensität des Erlebens, in interessanten Geschichten wieder aufleben zu lassen. Und damit - hoffentlich - Leseerlebnisse zu erzeugen, die wiederum etwas in den jetzigen Kindern hinterlassen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Bittedanke gleichfalls.

6 Kommentare:

  1. Liebe Ruth, liebe Nikola,

    was für eine schöne Idee ist euer Briefwechsel!
    Ich habe euer erstes posting und eure Vorstellungen mit großem Interesse und ebensolcher Begeisterung gelesen. Ein wirklich spannendes Thema, welches auch mich immer wieder umtreibt, habt ihr da angeschnitten ...

    Ich wünsche euch viele begeisterte LeserInnen, sowohl für eure Bücher, als auch für euren Brief-blog und werde ganz sicher immer wieder vorbei schauen.
    Liebe Grüße
    von
    Barbara
    www.barbarapeters.de

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  2. Liebe Ruth, liebe Nikola,
    ich kann mich Barbara Peters nur anschliessen: Was für ein inspirierender und spannender Briefwechsel! Bitte viel mehr davon!

    Ich wünsche Euch mit Eurer schönen Seite viel Freude und natürlich viele begeisterte LeserInnen - und mache mich jetzt mal ans Verlinken :-)

    Liebe Grüsse
    Lisa
    www.lisamariedickreiter.com

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  3. Liebe Beide,
    gratuliere zum interessanten Briefblog! Ich erlebe grad keine Schizophrenie, schreibe viel Lyrik und anderes Dichtes. Dabei, so scheint mir, erforsche ich die Sprache und das wirkt sich auf meine Kindertexte aus. Und, wie ich heute beobachtet habe, umgekehrt.
    Also wie mein Kinderbuchzimmer vom Licht Lyrikkobalt.. usw.
    liebe Grüße

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  4. Ihr Lieben,
    spannend, spannend! So ein Briefblog hat doch einen enormen Gesprächscharakter, ganz anders als in einem Forumsbeitrag bekommt man viel direkter die Entwicklung von Gedankensträngen mit - gefällt mir ausgesprochen gut!
    Und diese Farbe ist einfach groooßartig! Dieses Grün!!!
    Ich werde wohl öfters mal reingucken!

    Liebe Grüße von Alice
    www.alice-pantermueller.de

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  5. Hallo Ihr zwei,

    ich habe gerade Euren ersten Briefwechsel verschlungen- sehr spannend, viele interessante Gedanken, und vor allem sehr anregend! Ich werde bestimmt noch eine Weile über das Thema nachdenken.

    Danke dafür und bitte mehr davon!!!

    Liebe Grüße,
    Yvonne

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  6. Liebe Barbara, Lisa, Andrea, Alice und Yvonne,

    wir danken Euch sehr für das dicke Lob und die motivierenden Rückmeldungen, die unser Gespräch (und die folgenden) sehr bereichern. Nachschub wird es geben, demnächst, in kurzer Ferne oder vielleicht schon ferner Kürze ... :-)

    Herzlich, Eure Ruth & Nikola

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