Eine Liebesgeschichte für Kleingebliebene und Großgewordene
(von Nikola Huppertz)
Ruth und ich lernten uns durch
eine technische Panne bei der Registrierung für ein Kinderliteraturforum
kennen, kamen ins Gespräch ... und das Forum wurde für uns weitgehend überflüssig
- wir hatten einander gefunden.
Auf einmal gab es da eine
Kollegin, eine Freundin, die nicht nur verblüffend ähnliche biographische
Wurzeln hatte wie ich, sondern auch ein verblüffend ähnliches Selbstverständnis
als Autorin. Wir mussten uns in unserer Auffassung vom Schreiben nicht
erklären, uns nicht verteidigen, keine falschen Rücksichten nehmen, denn wir
merkten beide sofort: Hier ist jemand, der genau dasselbe will wie ich.
Nur, was war das eigentlich? Welche
Inhalte verbargen sich hinter diesem diffusen Gefühl von geteiltem
Literaturverständnis?
Wir wollten über Dinge schreiben,
die etwas Universelles transportieren. Über etwas, das alle angeht. Über die
grauen und die bunten Seiten des Lebens, über Traurigkeit und Glück, über
Einsamkeit, Freundschaft und Liebe.
Wir wollten Geschichten erzählen,
die jenseits von Alters- und Zielgruppen Gültigkeit haben. In denen jeder genau
das findet, was für ihn gerade von Bedeutung ist, weil das Lesen und das Leben
so eng ineinandergreifen. Zum Beispiel mit Hilfe von Figuren, die nicht Kinder
sind, nicht Jugendliche und nicht Erwachsene, sondern einfach Menschen.
Wir wollten Texte verfassen, die
sich nicht abnutzen. Die so viele Lesarten enthalten wie es Leser gibt. Die
hinter einer schon für sehr junge Kinder greifbaren Handlungs- und Sprachebene
auch etwas für ältere Leser (und Leber) bereithält: Ein besonderes Wort. Ein
Gefühl. Einen Gedanken. Eine Merkwürdigkeit.
Etwas, das einen innehalten und
die Augen reiben lässt. Etwas, über das man bei einem Ideen bringenden Tee noch
lange nachdenkt. Etwas, über das man sich seinen eigenen Reim macht und
kichernd sagt: „Zu komisch!“
Und wir haben es einfach getan.
Haben all das gemeinsam aufgeschrieben. Haben staunend verfolgt, wie SaBine
unsere inneren Bilder aufs Wunderbarste sichtbar gemacht hat. Haben mit einem
glücklichen Prickeln begrüßt, was schließlich dabei herausgekommen ist.
Eine Liebesgeschichte für
Kleingebliebene und Großgewordene.
(von Ruth Löbner)
Wir kannten uns ein knappes
halbes Jahr, als Nikola mir von dem Angebot erzählte, für Arena ein Jahrbuch
mit Illustrationen von SaBine Büchner zu verfassen. Sie war extrem skeptisch,
ob sie sich so ein Mammutprojekt zumuten sollte.
„Gerne auch mit einem zweiten
Autor an Ihrer Seite“, zitierte sie mir die Worte des Verlags. Dann gab es
diesen Moment der Stille zwischen uns. Natürlich lag es auf der Hand, dass wir das Buch zusammen schreiben. Aber
würde unsere intensive, jedoch noch sehr junge Freundschaft ein gemeinsames
Projekt verkraften? Wie schreibt man überhaupt im Team? Vielleicht würden wir
uns verkrachen und damit aufs Spiel setzen, was gerade erst so vielversprechend
zwischen uns begonnen hatte?
Im Grunde war es da aber schon zu
spät. Während dieser 30 Sekunden Schweigen am Telefon wussten wir beide, dass
wir es tun würden.
Was dann folgte, lässt sich nur
als Rausch bezeichnen. Einen Sommer haben wir für die 366 Geschichten
gebraucht, die wir eigentlich nebenher, auf ein ganzes Jahr verteilt, hatten
schreiben wollen. Aber ein „Nebenher“ gab es bald nicht mehr. An manchen Tagen
sind 4 oder 5 Geschichten entstanden – jeweils! Von der Kleinen Frau Babette,
verfasst in einem klitzekleinen Arbeitszimmer hoch über dem Marktplatz von
Linden, und von Herrn Mann, bei Amselgepiepse vor dem offenen Fenster im
ländlichen Rheydt. Jede Geschichte wanderte brühwarm durch den virtuellen Äther
und kam meist mit viel Lob und kleinen Anmerkungen wenige Minuten später wieder
zurück.
So schreibt man also im Team.
Als es langsam unübersichtlich
wurde, half uns ein Wiki, Jahreszeiten, Feste und Geschichtenzyklen unter
Kontrolle zu halten. Und als Hermann und Babette sich endlich begegnet waren,
fingen wir an, halb fertige Geschichtengerüste mit fehlenden Dialogzeilen hin
und her zu schicken. Denn eines war klar: Alles, was Babette sagt, musste von
Nikola geschrieben werden, auch wenn die Perspektive der Geschichte die von
Hermann war. Und jedes Stottern von Hermann in Babettes Geschichten würde am
Ende meiner Feder entholpert sein.
Draußen war zwar Sommer, aber in
unseren Arbeitszimmern haben wir wild durcheinander Puschen gefilzt,
Kastanienmännchen gebastelt und Stürmen getrotzt, wir haben Silvesterraketen
gezündet, Hummeln gezählt, unsere Figuren in Karnevalskostüme gesteckt und
versucht, Herrentorte zu ergattern. Irgendwann war es dann soweit: Wir hatten
sie beisammen, die 366 Miniaturen, ein alles umfassendes Geschichtenjahr
miteinander durchlebt - und in der echten Welt war immer noch Sommer.
Nein, wir haben uns über dem
Projekt nicht verkracht, Nikola und ich. Die neue Aufgabe, vor der wir an
seinem Ende standen, lautete, uns so sanft wie möglich auseinanderzuheddern und
wieder tauglich für den Alltag auf einem
einzigen Paar Füße zu werden, was uns einigermaßen gelungen ist. Hier und da sind aber
noch Verwachsungsspuren zu erkennen, ungezählte innere und eine äußere: „Die
Kleine Frau Babette und Herr Mann“.