Wir stellen uns vor

Was wäre dein Beruf, wenn es keine Geschichten gäbe?

Nikola: Keiner, fürchte ich. Denn wie hätte ich ohne Geschichten groß werden können, bitte?
Falls aber doch, wäre ich jetzt am ehesten Musikerin und würde mir was mit Tönen erzählen. Oder Geschichtensucherin wie Mazanendaba in dem wunderbaren Bilderbuch „Wie die Geschichten auf die Welt kamen“ von Gcina Mhlophe und Silke Tessmer.

Ruth: Ich würde vielleicht zeichnen. Das macht mich auch glücklich, wenn es gelingt. Und ist mit einem ähnlichen Ringen verbunden, bis es gelingt. Und bringt etwas hervor, das bleibt.


Wann begegnest du dem Leben intensiver: während du schreibst oder während du nicht schreibst?

Nikola: Wenn ich vergleiche, wann mich Gefühle mit größerer Wucht treffen, kommt für mich unterm Strich heraus: während ich nicht schreibe. „Echte“ Zuneigung und Freundschaft, „echtes“ Glück, „echte“ Wut, Trauer oder Einsamkeit treffen mich noch viel unmittelbarer und tiefer als ihre Stellvertreter beim Schreiben. Von der Liebe ganz zu schweigen. Allerdings geschieht „Leben“ beim Schreiben sehr komprimiert, jede Szene ist bedeutsam, es gibt kaum Leerlauf, kaum Fremdbestimmung, kaum Routine. Außerdem habe ich den Eindruck, dass das Schreiben das reale Erleben intensiviert und umgekehrt. Insofern sind es nur zwei Seiten einer Medaille.

Ruth: Ich glaube, ich bin zu konzentriert, um meinem eigenen Leben bewusst zu begegnen, während ich schreibe. Also ist die Antwort wohl: Während ich nicht schreibe.
„Nutzen“ tue ich das Leben aber intensiver, wenn ich schreibe. Dazu brauche ich alles, was mich ausmacht. In den Nicht-Schreib-Phasen des Tages teile ich mich eher in Einzelaspekte auf.


In welchem Roman würdest du gerne wohnen?

Nikola: Für eine Weile könnte ich mich ganz gut in Finns Hütte („Damals, das Meer“ von Meg Rosoff) niederlassen. Auch ein Zimmer in Visible („Die Mitte der Welt“ von Andreas Steinhöfel) fände ich spannend oder einen Aufenthalt in G.Otts Häuschen aus „Der Hund mit dem gelben Herzen“ (Jutta Richter).

Ruth: In keinem. Die Beschränkung auf ein Setting, dessen Grenzen ich nicht überwinden kann und dessen Figurenensemble sich nicht erweitern lässt, macht mir Angst. Im Grunde funktioniert das Leben zwar genauso, aber der größere Maßstab gaukelt mir mehr Freiheit vor.


Welche Art Musik wärst du, wenn dich jemand komponiert hätte?

Nikola: Ein Streichquartett.

Ruth: Ein Lied. Für Alt-Stimme und Klavier. Vorwiegend piano, denke ich, mit einem Harmoniewechsel hier und da.


Welche literarische Figur beneidest du um ihre Eigenschaften?

Nikola: Polleke (Guus Kuijer) um ihre uneingeschränkte Großherzigkeit.
Maniac Magee (Jerry Spinelli) um seine Konsequenz.
Elisa (Ruth Löbner) um ihre Fähigkeit, zu vertrauen.

Ruth: Vielleicht Michel aus Lönneberga. Der den Kampf gegen sich selber immer wieder verliert und gerade dadurch den richtigen Weg findet.


Ist dir die Morgen- oder die Abenddämmerung lieber?

Nikola: Die Abenddämmerung, wenn unser Papagei sein Lied singt und über dem Marktplatz noch das Abendrot hängt.

Ruth: Die Abenddämmerung. Nach einem guten Tag verströmt sie Frieden, nach einem schlechten kündigt sie dessen Ende an.


Ordne den folgenden Begriffen Farben zu: Inspiration, Langeweile, Ungeduld, Ankunft.

Nikola: Inspiration – blau.
Langeweile – grau.
Ungeduld – orange.
Ankunft – weiß.

Ruth: Inspiration ist grün, Langeweile hellblau, Ungeduld gelb und Ankunft changiert bei mir zwischen dunkelblau und braun.


Welche Fähigkeit vermisst du an dir am meisten?

Nikola: Geduld und Gelassenheit.

Ruth: Die Genussfähigkeit.


Hättest du gerne ein fotografisches Gedächtnis?

Nikola: Nein. Ich glaube, dass selektive und subjektiv verzerrte Erinnerungen eine intelligentere und nützlichere Funktion unseres Bewusstseins sind als reine Abbilder.
Letztendlich geht es ja immer darum, auszuwählen und einzuordnen, wenn man nicht im gedanklichen Chaos versinken will.

Ruth: Vielleicht schreibe ich, weil ich so ein schlechtes Gedächtnis habe. Deswegen lieber: Nein. Aber die Vorstellung, dass das meiste von dem, was ich erlebe, sich sofort auf den Weg in die Versenkung macht, stört mich kolossal. Ich wünsche es mir manchmal, das fotografische Gedächtnis, aber ohne mir über die Folgen im Klaren zu sein. Ich weiß ja nicht, wie es ist, sich an alles haarklein zu erinnern. Vielleicht ist es ja ein Fluch? Wenn die berühmte Fee vorbei käme, wäre das vermutlich einer von den Wünschen, die man mit einem zweiten sofort wieder rückgängig machen will. Zwei Wünsche verpulvert und alles ist wie vorher. Nur, dass man jetzt weiß, was man nicht will. Mein Tipp ist deswegen immer, sich von der Fee etwas Globales wie „Erkenntnis“ zu wünschen. Obwohl uns ja genau das damals aus dem Paradies vertrieben hat…
Äh, was war noch mal die Frage?


Findest du es erstrebenswert, sich selbst treu zu sein?

Nikola: Ja. Wenn man sich dabei immer wieder selbst ausprobieren und Veränderungen zulassen kann.

Ruth: Ich hoffe, dass ich mich rechtzeitig finde, um mir noch ein bisschen treu sein zu können. Und dass ich das dann aus Überzeugung tue.


Beunruhigt dich die Vorstellung, dass deine Figuren dich überleben werden?

Nikola: Sie beunruhigt mich nur so weit, wie mich meine Sterblichkeit an sich beunruhigt. Ich gehöre (noch?) nicht zu den Leuten, die mit dem Tod per du sind und es schaffen, ihm heiter-gelassen entgegenzusehen. Aber die Vorstellung, dass meine Figuren, die ja alle Teil von mir selbst sind, immer noch Kind und einfach da sein dürfen, wenn ich schon vergangen sein werde, finde ich schön. Es ist ein bisschen, als könnte man hier und da an einem Schräubchen in der Zeit drehen.

Ruth: Sie beunruhigt mich nicht mehr als die Vorstellung, das mich irgend etwas anderes überleben wird. Ich kann mir ein Leben ohne mich einfach nicht denken. Oder nein: Dass ich nie erfahren werde, wie das ist, sprengt meinen Horizont.
Aber ich glaube nicht, dass ich vor meinem Tod meine Figuren noch mal extra loslassen muss. Das muss man tun, wenn man sie zum ersten Mal hergibt.


Bist du aus Zufall oder Notwendigkeit geworden, wer du bist?

Nikola: Ich bin nicht besonders schicksalsgläubig und sehe durchaus eine Menge skurriler Zufälle in meinem Leben. Aber sie allein haben gar nichts gelenkt oder aus mir „gemacht“. Ich habe vielmehr auf sie reagiert, wie es mir richtig erschien und es einer inneren Notwendigkeit entsprach. Ein bisschen wie ein Trampolin im Boden, das einem Gelegenheit zum Abspringen bietet, aber nicht die Richtung bestimmt.

Ruth: Ich glaube, das ist irrelevant. Zum Verlauf eines Lebens gibt es keine Alternativen, höchstens theoretische, die per definitionem nicht eingetreten sind. Also bin ich, wer ich bin. Warum auch immer.